Aus dem Archiv skurriler Merkwürdigkeiten

Erwin Grosche: „Herr Helsinki will nicht Hauptstadt werden“

von Frank Becker

Foto © Wolfgang Weimer
Genüßlich im Archiv skurriler Merkwürdigkeiten gewühlt
 
Mit seinem neuen Kleinkunst-Programm 
„Herr Helsinki will nicht Hauptstadt werden“ 
gastierte Erwin Grosche im Forum/ Rex.
 
Eine neue Pelzjacke hat er sich für Helsinki zugelegt, Pulswärmer und ein ganz neues Programm, mit dem er vor ausverkauftem Haus im „Rex“ gastierte. Erwin Grosche schaut wieder in die Seele der Dinge und in den Kern des Menschen, beweist sich als König der kleinen Weisheiten und zeigt, daß wir ein Leben voller Geheimnisse führen.
„Ich fahre hier hin, damit ich mal woanders bin“, beginnt er seine Betrachtungen, „aber ich hab' mir woanders immer ganz anders vorgestellt - und auch ganz woanders“! Dabei schaut er mit großen Augen verwundert-wissend in besagtes Mysterium Leben. Dann denkt Erwin Grosche ganz schnell um die nächste Ecke, erklärt, daß er es ablehnt, vom Dreier zu springen: „Ich bin zu schwer zum Fliegen“ und er verfügt kategorisch, daß er für den Fall einer Wiedergeburt dabei nicht gefilmt werden will.

Dem Abenteurer Rüdiger Nehberg widmet er eine Hymne zur Pauke, „Asseln am Amazonas“ heißt sie, nicht ohne harsche Kritik mit der Frage, warum er in fremden Erdteilen Silberfische vertilgt, anstatt sich hier nützlich zu machen und Mücken zu essen.
Und er fragt weiter: „Macht ein Abenteurer, der ständig überlebt, nicht etwas falsch? Oder riskiert zu wenig?“ Nehberg solle mal versuchen, mit einem Kind am Süßigkeiten-Ständer vorbei zu kommen, „das ist Abenteuer“. Grosche kennt einen Mann, der so langsam ist, daß ihn eine Schnecke nervös macht, er singt das Lob des Spülens als meditativen Moment zur Vergangenheitsbewältigung, betet in den Reminiszenzen eines Trinkers das „Kater unser“ - „Nüchtern werden ist der Auszug aus dem Paradies“. Ein sympathischer Träumer ist Erwin Grosche, ein leiser Philosoph der sanften Augenblicke, ein Archivar skurriler Merkwürdigkeiten, der sich wegen seines Geigenspiels von Herrn Schlawinski mit einer Pistole bedroht sieht, und der kopfschüttelnd anmerkt, daß man ihm mal mit Badekappe den Eintritt in die Oper verweigerte, „obwohl sie schwarz war“!

Völlig neue finnische Kurzszenen voller Anmut und Lebensfreude und eine rührende Interpretation von „Gern hab' ich die Frau'n geküßt“ konnten noch nicht da Ende sein - als bejubelte Zugaben wurden vom begeisterten Publikum die „Reise nach Helsinki in der Gewinner-Fassung“, das Loblied auf „Tri-Top“ und die unsterbliche Oma-Trilogie („Ommii") erklatscht. Bin wunderbarer Abend im Forum/Rex mit einem faszinierenden Künstler und Menschen.
 
Frank Becker
 
26.02.2001